13.06.23

Bieler Lauftage | 100 KM durch die Nacht der Nächte

Die 100 Kilometer von Biel, mit ihrem Start in der Nacht, sind eine Legende. Seit 1959 wird der 100km Lauf durchgeführt! Man spricht bei den Bieler Lauftagen zurecht von der „Nacht der Nächte“! Wer das Flair dieser Veranstaltung einmal erleben möchte muss dabei nicht unbedingt auf der 100km Distanz starten. Neben einem 10km & Halbmarathon-Rennen kann man sich auch als Duo oder 5er Staffel die 100km aufteilen! Auch das Schweizer Militär ist regelmäßig dabei! Bei den Militärkategorien stellt die 100km-Militärpatrouille die Königsklasse dar: Dabei absolvieren zwei Teilnehmende gemeinsam die gesamten 100 KM (maximal erlaubter zeitlicher Abstand: 2 Min). Es gibt den geflügelten Satz „Einmal musst du als UltraläuferIn nach Biel“! Also ging’s für mich darum einmal diese Legende zu „besiegen“!




Nach intensiven monatelangen Training, mit diversen Marathon als „Vorbereitungsläufen“ und einem 6 Stunden Trainingslauf im Gepäck, ging’s auf in die Schweiz! Flo Neuschwander hat wohl irgendwann mal gesagt: „Ein Marathon tut irgendwann nicht mehr weh. Ich will aber, dass es auch mal wieder weh tut. Deshalb laufe ich einmal pro Jahr die 100km.“ Ob ich das so unterschreiben würde mag ich anzweifeln, aber extrem neugierig auf die Leidensfähigkeit meines Körpers, jenseits meiner bisherigen Rekordmarke von 73,9km [Rennsteig Supermarathon] war ich schon! In den Tagen vor dem Rennen war ich nicht nervös - aber angespannt! Den ganzen Tag, vor dem Start am Abend, wusste ich nicht, was und wann, ich essen sollte! Darüberhinaus konnte ich am Nachmittag einfach nicht (vor)schlafen! 


I´m ready ;-)))

Der Start für alle 100km TeilnehmerInnen war um 22:00 Uhr an der Tissot Arena. Von nun an hieß es „run around the clock“! Die Strecke zog sich kurz durch die Innenstadt Biels und danach über eine lange Schleife am Fuß des Juragebirges, entlang der Flüsschen Aare und Emme. Zusätzlich machten einige unangenehme Steigungen auf der  Strecke (insgesamt 800 Höhenmeter) dieses Rennen zu einer echten Herausforderung! In den Parks und zentralen Plätzen der Innenstadt herrschte noch ausgelassene Partystimmung. 



Start/Zielbereich Tissot-Arena (Biel)

Warten auf die Dunkelheit 


Start

Innenstadt Biel - Zentralplatz


Danach ging’s hinaus in die dunkle Nacht. Eine Stirnlampe war obligatorisch, denn die Strecke führte kilometerlang über Felder und durch dunkle Waldpassagen. Eine beeindruckende Atmosphäre wenn man mitten in der Nacht einen Schwarm von weißen Lichtern der vielen LäuferInnen, in der Nähe und Ferne, beobachtet. Genauso faszinierend wie die Beteiligung der Menschen in den vielen Dörfern, welche wir durchquerten! Bis in den frühen Morgenstunden saßen sie gesellig vor der Tür und feierten die LäuferInnen mit dem typischen Hopp-Hopp & Allez-Allez! Akkordeonmusik und Alphörner sorgten für die musikalische Untermalung.


beleuchtete Wegweiser in der Nacht

18 Verpflegungsstellen ;-)

Stirnlampe ist obligatorisch

Halbzeit ! - nur noch 50km ;-)

Das Rennen war nach hinten heraus sehr anstrengend! Anfangs kam ich nicht so gut in einen entspannten „Flow“ Das lag wohl daran, dass mir die Pasta vom frühen Nachmittag am Abends immer noch im Magen lag. Von Anfang an hatte ich ein störendes Magendrücken:-( Trotz dieses unangenehmen Gefühl und diversen Steigungen lief es bis KM 50 recht gut! Auf der ersten Hälfte war ich bewusst langsamer gelaufen. Ich hatte mir sehr viel Zeit an den Verpflegungsstellen, für das Essen & Trinken, genommen und bin an Steigungen teilweise „marschiert“! Dabei hatte ich mich an der „Schwarmintelligenz“ orientiert: Sobald um mich herum, am Berg, das Tempo deutlich reduziert wurde, war ich dabei;-) Energie sparen ist im Ultramarathon ein „Schlüssel zum Erfolg“! 



(Bild: AlphaFoto)


Ab KM 65 merkte ich eine deutliche Ermüdung! Die ersten Schmerzen, im Rücken, bemerkte ich auf der Passage über den Emmendamm [KM60 bis KM70]. Ein paar Streckungsübungen auf einer Parkbank halfen mir zunächst einmal. 



Sonnenaufgang hinter dem Emmendamm


Zwischen Biberist [KM70] und Bibern [KM80] wurde es mental schwierig! Wir liefen über eine gesperrte Landstraße leicht bergauf, durch eine wunderschöne Landschaft und sahen vor uns das kleine Örtchen Bibern. Hier wartete die nächste Verpflegungsstelle. Bereits der moderate Anstieg war anstrengend. Hinter dem Ort ging’s jedoch noch einmal unangenehm bergauf und der Anblick demoralisierte mich! Von nun an ging’s an die Substanz und der Wille musste das Kommando übernehmen! Wo es bergauf geht muss es auch wieder bergab gehen;-) Als es bei KM83 endlich flacher wurde, verlief die Strecke bereits in der prallen Sonne. Die offiziellen Temperaturdaten lagen bei 23 Grad. Für mich fühlte es sich jedoch nach >30 Grad an! Das Wasser aus meinem Trail-Rucksack [zwei Trinkflaschen- keine Trinkblase] nutzte ich mittlerweile regelmäßig zur Kühlung von Kopf & Gliedern. In Arch versäumte ich jedoch die beiden Flaschen, an der Verpflegungsstelle, aufzufüllen und der sonnige, schattenlose Abschnitt zwischen Arch und Büren, entlang der Aare, wurde zur echten Tortur! Zu diesem Zeitpunkt kämpfte ich mich von Kilometer zu Kilometer! Aufgrund der Temperatur und dem fehlenden Wasser bekam ich Angst vor Kreislaufproblemen. Glücklicherweise erreichte ich Büren erschöpft aber aufrecht;-)) Die Härte des Rennens spiegelt sich auch in der hohen Ausfallquote wieder. 24% (468 v. 617) der LäuferInnen stiegen frühzeitig aus! In Büren gab es frisches Wasser und über die wunderschöne alte Holzbrücke wechselten wir die Flussseite. 



Alte Holzbrücke bei Büren an der Aare (Bild: AlphaFoto)

Ich hoffte, dass von nun an etwas Schatten auf die Laufstrecke fallen würde! Diesbezüglich wurde ich jedoch bitter enttäuscht. Musste es wirklich so weh tun!? Die Zeit spielte am Ende keine Rolle mehr! Mehr den je wurde der Weg zum eigentlichen Ziel! Mein Mantra auf den letzten Kilometern lautete „Laufen ist nichts anderes als eine Reihe von Argumenten zwischen dem Teil des Gehirns, der aufhören möchte, und dem Teil, der weitermachen möchte“. 



I´m walking (Bilder: AlphaFoto)



Staubtrocken! (Bild: AlphaFoto)


Die nächste kleine Steigung führte in einen bewaldeten Abschnitt der Strecke. Trotz schwerer Beine hatte ich es so eilig, in den kühlen Wald zu kommen, dass es an der Fotografenstelle bei KM91 zu einem außergewöhnlich dynamischen Bild kam! 



(Bild: AlphaFoto)


So hätte es auf den letzten 9km gerne weitergehen können. Leider gab es zwischendurch immer wieder waldfreie Abschnitte und das laufen in der Sonne machte einfach keinen Spaß mehr. Das Läuferfeld war zu diesem Zeitpunkt weit auseinander gezogen und nur selten traf ich andere LäuferInnen. Der letzte Kilometer war erreicht und das Schild KM99 ist legendär! 



FINISH | 1KM 

In diesem Moment stieg die Ausschüttung von körpereigenen Opiaten. Mit diesem legalen Doping  ging’s auf die letzten 1000 Meter. Von weitem sah ich meine Frau auf der Tribüne winken. Mit feuchten Augen bog ich auf die Zielgerade ein! Wunderschön, dass meine Frau mit mir gemeinsam die letzten 200 Meter bis zur Ziellinie laufen durfte! So gab’s noch vor der Medallie & dem Finisher-Shirt einen Finisher-Kuss! 



(Bild: AlphaFoto)

(Bilder: AlphaFoto)


Finisher-Kuss (Bild: AlphaFoto)


Finisher-Shirt & Medallie 2023


Am Ende war ich sehr Stolz, dass ich mich über die Distanz von 100km durchkämpfen konnte! Durch die „Nacht der Nächte“


Es war eine echte Grenzerfahrung und mir fällt als kurze Beschreibung das Zitat des berühmten Ultramarathonläufers Rob Steger ein: 

„Die meisten Ultramarathons sind ein Leidensweg. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es egal ist, wer man ist oder wie viel Training man absolviert hat, jeder leidet irgendwann während eines Ultras. Was Ultraläufer auszeichnet, ist die Art und Weise, wie sie in schwierigen Momenten mit sich selbst umgehen.“



Streckenplan 100km (Bild: Homepage Bieler Lauftage)


Höhenprofil (Komoot)



Weitere Informationen über diese besondere Laufveranstaltung findet Ihr auf der Homepage des Veranstalters:


Bis bald

8 Kommentare:

  1. Herzlichen Glückwunsch für die tolle Laufleistung , ich selber habe 32 mal das Ziel erreicht

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wahnsinn! Meinen Respekt vor dieser Ausdauer-Serienleistung!

      Löschen
  2. Herzliche Glückwünsche von den #solarisierern! Einfach bewundernswert, ein ganz toller Bericht und sehr schöne Fotos von diesem Erlebnis. Der Zieleinlauf mit der Frau und schon sind alle Schmerzen vergessen!
    Liebe Grüße, Marlen Günther

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank! Ja - tatsächlich! Bevor ich das Ziel sah, erkannte ich meine Frau und schlagartig war die Power wieder da!!!

      Löschen
  3. Auch von mir herzlichen Glückwunsch zum tollen Erlebnis und Ergebnis in Biel! Schön, auch von Dir einen Bericht zu dieser legendären Veranstaltung zu lesen :-) Dazu noch richtig tolle Bilder - danke dafür! Liebe Grüße aus Marl, Corinna

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank !!!

      Löschen
    2. Herzlichen Glückwunsch,32 mal habe ich in Biel die Laufstrecke erfolgreich beendet,7 mal als Gesamtsieger, 2 mal Zweiter und 3 mal Dritter, diese schöne Läufe in der Natur bleiben mir unvergesslich 1966 war ich das erste mal dabei.

      Löschen
    3. Das macht Ihnen so schnell keiner nach, Herr Urbach! :⁠-⁠)

      Löschen