20.11.17

Sonniger Chicago Marathon oder: Was haben Bekele, Kipsang, Frodemo, Beranek und ich gemeinsam?

Einige von euch kennen ihn wahrscheinlich bereits. Ludger Schneider-Störmann hat in der Vergangenheit einige interessante Beiträge als Gastautor auf "der-laufgedanke" veröffentlicht. Besonders schön für mich, da er gerade kurz davor steht die World-Marathon-Majors Serie abzuschließen. Durch seine  Stories der Rennen lässt er meine Erlebnisse auf diesen Strecken noch einmal Revue passieren! In Chicago hatte ich 2011, genau wie Ludger, Wiebke, Josef und der Rest der Crew in diesem Jahr, die gleiche unbarmherzige Sonne am strahlenblauen Himmel und viel zu hohe Temperaturen - Respekt! 
Ludger hat(te) jedoch seine eigene Art damit umzugehen;-)




 







Es ist schon eine Weile her, dass der Chicago Marathon bei schönem Spätsommerwetter stattfand. Am 8. Oktober 2017 starteten 42.000 Läuferinnen und Läufer vom Grant Park, um sich einem ungewöhnlich heißen Lauf zu stellen. Aber der Reihe nach: Wie bei Jörg (der-laufgedanke) ist Wiebkes und mein Bestreben, die sechs World Major Majors (Tokyo – Berlin – New York – Boston – Chicago – London) zu erleben. Chicago ist unser fünfter Stern.  Wir haben uns in der Lotterie beworben und wurden glatt gezogen. Was für ein Glück! Die Reise haben wir mit Interair angetreten (www.interair.de), da der Ablauf von Achim Wricke und Co. bei den anderen Majors so unglaublich gut organisiert war.  Am Vortag des Marathons hatten wir uns natürlich die „Windy City“ genauer angesehen. Die Skulptur (Bohne) von Anish Kapoor und die Hochhäuser (Trump Tower) entlang des Flusses und der Kanäle. Hier ist die Bootstour (Architektur-Rundfahrt) sehr zu empfehlen. Denn schließlich hat auch der Aachener Architekt Ludwig Mies van der Rohe seine Spuren hinterlassen.    

 
Geballte Kunst: Die „Bohne“ von Kapoor im Vordergrund und die Konzerthalle von Richard Geary. (Foto: Ludger Schneider-Störmann) 


Chicago heißt Windy City, weil dort Al Capone sein Unwesen trieb und viele „windige“ Geschäfte machte. Eine weitere nette Anekdote ist, dass der Trump Tower nur deshalb das höchste Gebäude in Chicago ist, weil er einen Künstler beauftragt hatte, die Antenne zu konzipieren, die somit zur Gebäudehöhe dazuzählt. Für mich (als Elektrotechniker) sieht diese Antenne nach wie vor wie eine profane Antenne aus. Der Künstler mag mir verzeihen.  

Startnummernausgabe – so einfach ist das… Eins muss man den Organisatoren in Chicago lassen. Alles ging schnell. Als wir mit vielen anderen Sportlerinnen und Sportlern ankamen, dachten wir schon an  die langen Schlangen der Startnummernausgabe. Aber von wegen: QR Code an einen der vielen Scanner eingelesen, der Monitor wies einem einen leeren Ausgabeschalter zu, an dem dann schon das frisch gedruckte Schild rauskam. Beeindruckend. 


Einzig das Foto mit Irina Mikitenko toppte das alles;-)  



(Foto: Achim Wricke, Interair) Da konnte nichts mehr schief gehen: Irina Mikitenko, die immer noch den deutschen Marathon Rekord hält (2:19:19) wünschte uns Glück.
 
 
Ein heißer Chicago-Marathon
Das angenehme war die Lage unseres Hotels. Interair hat da einen sehr guten Griff getan: Zunächst gab es ausreichend Bananen und Müsli zum Frühstück. Das Hotel lag sehr nahe am Start/Ziel Bereich: Drei Blöcke vom Grant Parkt weg, konnten wir ohne lange Busfahrt (siehe Boston oder New York), relativ kurz vor dem Start zum Grant Park gehen. Übrigens: In Chicago sind 8 Blöcke eine Meile. Das ist doch mal eine nette Faustformel.

 
Gute Stimmung vor dem Lauf auf dem Weg zum Grant Park. (Foto: Udo Preißler) 


Die Stimmung im Park beim Warten war sehr gut. Trotz der erwarteten hohen Temperaturen, war es zunächst sehr kühl. Wir wussten aber, dass es für einen Marathon eigentlich zu warm werden würde. Das sagte auch schon der Wetterbericht voraus. Das eigentliche Problem bestand aber in der hohen Luftfeuchtigkeit. Diese Werte zeigte meine Wetter-App nicht an, da es aber an den Vortagen reichlich geregnet hatte und der riesige Lake Michigan vor der Haustüre liegt, stieg die Luftfeuchtigkeit zwar nicht auf tropische Verhältnisse, die Sonne wärmte uns aber dennoch zu gut;-)




 Wettervorhersage am Marathontag: 25°C für die letzten Kilometer.(Foto: Ludger Schneider-Störmann, Wetter.com) 





Ein Rundkurs: Der Chicago Marathon  war im Gegensatz zu vielen anderen großen Läufen ein Rundkurs. Das machte es sehr einfach, was die Logistik (Kleiderbeutel abgeben und wieder abholen, …) anging. Leider führte der Weg nicht wie der am Vortag stattfindende 5k-Lauf am Lake Michigan statt. Dafür wurde man aber durch alle möglichen Stadtviertel geführt die z.B. sehr chinesisch oder mexikanisch geprägt waren. 

Der Rundkurs des Bank of America Chicago Marathons startete und endete im weitläufigen Grant Park

 
Der Rundkurs des Bank of America Chicago Marathons startete und endete im weitläufigen Grant Park (Bildausschnitt: www.chicagomarathon.com, Bearbeitung Ludger Schneider-Störmann)

 
Das Warten bis zum Start verging wie im Fluge. In drei Wellen wurden die 45.000 Marathonis auf die Strecke geschickt. Ich hatte vor mit einem Pace von 06:15min. zu laufen. Beim Kölner Halbmarathon am Wochenende davor klappte das wunderbar. Mit 2:14h im Ziel (HM Köln)  fühlte ich mich frisch, ausgeruht und hatte am Ende noch genügend Energie. Also dachte ich mir, dass ich in Chicago die erste Hälfte genauso laufe, die zweite dann mit höherem Pace um unter 4:30h im Ziel anzukommen. Aber da machte mir einfach das Wetter einen gehörigen Strich durch die Rechnung.  Wie schnell laufe ich in Chicago? Die Antwort kennt nur dein Herz! Vom Start aus ging es direkt in einen langen Tunnel (Siehe oben Columbia Drive). Dieser ist recht lang und so musste man sich auf sein Gefühl verlassen. Da ich die 4:30er Zugläufer vor mir hatte, folgte ich diesen. Einmal aus dem Tunnel raus merkte ich, dass es ziemlich problematisch sein würde, nach Pace zu laufen. Ständig sprangen die Werte meiner GPS Uhr. Was war da  los? Die Hochhäuser versperren zu vielen Satellitensignalen den Weg. Im Bild unten sieht man, was am Ende für ein Weg rauskam. Das war nicht zu gebrauchen. Also richtete ich mich nach den  km-Zeichen am Wegesrand und der vergangenen Zeit. Es passte dann auch bis zur Halbmarathon-Marke -perfekt: 2:15h in Chicago. 
  
 Kleine Tunnel und viele Hochhäuser sorgen für schlechte GPS Signale. 
 
 Kleine Tunnel und viele Hochhäuser sorgen für schlechte GPS Signale. (Foto: Achim Wricke, Interair)

 Die Auswertung nach dem Lauf zeigte: Nach GPS zu laufen ging nicht. Am Ende bin ich angeblich knapp 44 km gelaufen, sagt Garmin. Kein Wunder, wenn man nicht über die Straße sondern „immer durch Häuserblöcke“ läuft;-)


Die Kilometerangaben wurden meine Messlatte für die Pace. Die GPS Uhren helfen in Chicago nicht. (Bild: Ludger Schneider-Störmann) (Bild: Ludger Schneider-Störmann)  


Was haben nun Kenenisa Bekele, Wilson Kipsang, Jan Frodemo, Anja Beranek und ich gemeinsam?
Keine Angst, ich möchte mich nicht mit Bekele & Co. auf eine Stufe stellen. Ich bin nicht mal ungefähr in der Nähe der Leistungsfähigkeit dieser Spitzensportler. Ich ziehe meinen Hut vor diesen Siegern und Weltrekordern diverser Marathon und Triathlon Wettkämpfe. Aber in diesem Jahr 2017 scheint bei vielen Läufern der Wurm drin zu sein. Und schuld daran ist… der Umgang mit dem eigenen Körper unter ungewöhnlichen Bedingungen.   Ich bin nicht nur mit GPS Uhr gelaufen, die in Chicago nichts nützte, sondern ausnahmsweise auch mit meinem Brustgurt zur Messung meiner Herzfrequenz. Und hoppla, der war ja ganz schön hoch! Und warum hatte ich so ein komisches Gefühl bei km 21?   Mein Puls kämpfte mit der Temperatur. Zum Vergleich: Beim Kölner Halbmarathon hatte ich einen Puls bei gleichem Pace, der ca. 15-20 Schläge unterhalb dem beim Chicago Marathon lag.  Meine beiden Pulskurven zeigen eine deutliche Abweichung. Beide Strecken sind flach, obwohl die Pace die gleiche war, nur die Temperaturen waren unterschiedlich: In Köln waren es 9°C bei trockener Luft, in Chicago 25°C bei hoher Luftfeuchtigkeit. Pmax ist mein maximaler Puls. Bei km 5 lag der Puls in Chicago mit 160/min schon deutlich über dem in Köln mit 140/min.

 
(Bild: Ludger Schneider-Störmann)


Der wiederholte Blick auf die Pulsanzeige und das Körpergefühl, ich kühlte nicht ab, sondern heizte immer weiter auf, zwangen mich zu einem Strategiewechsel: Entweder ich laufe so weiter und riskiere ein Ausscheiden oder ich laufe langsamer mit Gehpausen und komme sicher im Ziel an. Was blieb mir übrig? Für mich eine klare Sache: „Nochmal komme ich nicht so leicht nach Chicago -ich will diese fünfte Medaille der Six Major Marathons haben! Heute!“   Ich verlangsamte meine Pace und blieb in etwa bei 85% meines maximalen Pulses. Also, „vergiss die Zeit und komme einfach an“ dachte ich mir.   Vor dieser Entscheidungsschwelle standen viel Top-Athleten, auch die oben genannten. Jan Frodemo kämpfte sich u.a. mit Schmerzen im Rücken beim Ironman Hawaii 2017 durch (ihm ging es offenkundig ungleich schlechter als mir). Er gab seine Position auf um ins Ziel zu kommen.   Und die anderen Profis? Sie wollten vielleicht zu viel.  


Bekele und Kipsang stiegen beim verregneten und kühlen Berlin Marathon in diesem Jahr bei km 30 aus. Und die Spitzenathletin Anja Beranek? Sie analysierte ihren Ironman-Wettkampf, den sie beim Radfahren abbrach, eindrucksvoll analytisch und gut nachvollziehbar auf ihrer Facebook-Seite (www.facebook.com\anja_beranek): „Ich bin die ersten 60 Minuten deutlich über meiner Leistungsschwelle gefahren und habe meine Kohlenhydratspeicher zu Beginn leer gemacht. Mein Körper konnte damit nicht mehr auf den Fettstoffwechsel zugreifen, da er ständig „on fire“ war. Mit der maximalen Kohlenhydratmenge von 60g pro Stunde, konnte ich bei der Hitze nicht die nötige Energie zu führen, die er gebraucht hätte. Der Griff zur Cola - nachdem ich keine Gels mehr runter brachte, war dann auch kontraproduktiv, da der Körper zusätzlich von den Blutzuckerschwankungen geschwächt wurde. Zudem ging auch keine Energie mehr durch den Magen-Darm-Bereich. Die gesamte Flüssigkeit sammelte sich im Bauch und kam nach oben wieder raus. Ich habe also den Tank zu früh zu leer gemacht und mich damit nach 120km aus dem Rennen geschossen.  Aber warum habe ich das gemacht? … es (war) im Nachhinein die falsche Renntaktik und ich habe zu früh zu viel investiert! Physiologisch konnte ich mich nach dieser Aktion nicht mehr erholen.  Ich habe vielleicht zu viel gewollt und zu viel Risiko auf mich genommen…“   

Nun, ich wollte nichts riskieren, vor allem keinen Abbruch. Meine Renntaktik habe ich meinem Körpergefühl angepasst. Ich brauchte viel länger, bin aber ins Ziel gekommen. Ich nahm kein Risiko auf mich und kam gesund an. Das ist das Wichtigste.  Chicago 2017: Sonne, Menschen und eine gelungene Überraschung Zwei, drei Dinge noch: Es war dennoch wunderbar, bei dem Wetter in Chicago zu laufen. Die schöne Architektur Chicagos und die vielen Menschen am Rand beflügeln. Egal ob in Chinatown oder im Mexican Village - ich habe so oft meinen Namen rufen gehört, das war wirklich klasse und motivierend. So ging ich an einem Getränkestand langsam vorbei, um meine „Wassertanks“ vollzumachen und eine Becherdusche zu nehmen. Auf einmal hörte ich, dass mein Name skandiert wurde: „Ludger – Ludger – Ludger“ begleitet von rhythmischem Klatschen. Fünf junge Amerikaner sahen mir wohl die Anstrengung an und munterten mich auf.   Bei km 30 überholte ich tatsächlich noch einen Pacemaker. Allerding kämpfte dieser noch mehr mit der Strecke als ich, denn auf seinem Schild stand „4:30“. Der hätte also weit vor mir sein müssen. Und zahlreiche andere Läuferinnen und Läufer hatten sich schnellere Zeiten vorgenommen und die Zielzeiten (4:00; 4:15; 4:30) auf die Rückseite des Laufshirts geheftet. Auch sie sind vernünftigerweise langsamer aber gesund ins Ziel gelaufen.  Das Rennen gewann der US Amerikaner Galen Rupp in 02:09:20. Das ist keine besonders schnelle Zeit, bedenkt man, dass Kipchoge in Berlin 2017 bei ebenfalls widrigen Bedingungen eine Zeit von 02:03:32 gelaufen war. Rupp war also quasi über 2 km hinter dem Sieger von Berlin. Allerdings war das unter den Umständen des Laufs immer noch eine Top-Zeit. Die Belohnung der Anstrengungen kam für mich im Ziel: Nach dem Empfang der Medaille wurde ich angesprochen: „Hallo, da sind Sie ja“. Ich war verdutzt. Vier meiner Studierenden (ich unterrichte in Deutschland an einer FH Vertriebsingenieurwesen), die in USA gerade Praktikum machten, waren eigens 2 ½ Stunden mit dem Auto nach Chicago gefahren, und als sie feststellten, dass dort ein Marathon war haben sie mich gesucht und gefunden. Das war großartig. Sofort waren Schmerzen und Strapazen vergessen. Vielen Dank an die vier!  

 
  Überraschungsbesuch im Zielbereich: Vier Studenten finden den Dozenten 7000 km entfernt vom Hochschulort unter 45000 Marathonis (Foto: Julia Scholz, Interair)


Die Freude über den Überraschungsbesuch hält auch noch heute an. Danke!   Das war aber noch nicht alles: Im Zielbereich trafen wir auch noch zwei Freunde, mit denen wir Sonne und Live-Musik genossen und unseren Freund Josef (der Dritte der Tokyo Connection). Schließlich bekamen wir alle auch noch ein Siegerfoto von Irina Mikitenko, die auf alle Interair-Reisenden am Ziel wartete.  Da sind dann die Schmerzen vergessen und man freut sich auf den nächsten Marathon in London!

 
 Die Tokyo Connection: Noch ein Major, dann sind wir Six-Star Finisher (Foto: Julia Scholz, Interair)

Bis bald

1 Kommentar:

  1. Lieber Ludger,
    soeben habe ich deinen tollen Bericht vom Chicago Marathon gelesen und konnte in Gedanken diesem grandiosen Erlebnis wieder ganz nah sein! Danke!
    Wir sehen uns in London 2018! :-)
    Liebe Grüße :-)

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