Vor dem Osterwochenende erreichte mich in Kapstadt eine SMS von den Freunden aus Boston mit nettem Inhalt: "Du bist auch dabei"! - Danke!
DANKE !!! |
Über den Boston Marathon wurde schon viel geschrieben (auch
hier: PatriotsDay-Boston2013 Boston Marathon), noch mehr über ihn gesprochen. Viel haben wir über ihn gehört, aber
ihn zu laufen ist dann doch was anderes.
(Fast) nur qualifizierte Läuferinnen – ein schneller
Marathon!
Um teilnehmen zu dürfen, bedarf es einer offiziell
gemessenen Qualifikationszeit (siehe Auszug aus der Tabelle BAA.org
Qualifying Times 2018).
Age Group
|
Men
|
Women
|
18-34
|
3hrs 05min 00sec
|
3hrs 35min 00sec
|
…
45-49
|
3hrs 25min 00sec
|
3hrs 55min 00sec
|
…
|
…
|
…
|
80+
|
4hrs 55min 00sec
|
5hrs 25min 00sec
|
Auszug aus der Qualifying Tabelle von der baa.org Seite
des Veranstalters.
Davon sind wir weit entfernt. Nach den sehr guten
Erfahrungen mit Interair beim Tokyo
Marathon und New York Marathon (beide 2016, siehe auch meinen Blogbeitrag hier:
Hand-in-Hand
ins Ziel) haben wir wieder die Zulassung über Interair geregelt. An dieser
Stelle danken wir Achim und seinem Team schon mal für die Top-Organisation und
Ablauf der Reise sowie für die Bereitstellung einiger Bilder in diesem Beitrag.
Durch das Qualifying sind in der Tat viele Marathonis in
Boston sehr gute Läuferinnen. Daher liegt die Durchschnittszeit aller ca.
26.411 Finisher (bei 27.221 Startern) auch recht niedrig bei ca. 3:46:00
(2015). Im Gegensatz dazu liegt die Durchschnittszeit in London deutlich über
vier Stunden. Also darf man sich nicht allzu viel daraus machen, wenn man bei
kleineren Läufen in der Mitte des Feldes rangiert und in Boston eher hinten.
Nach Hopktinton: Schülerfeeling
Der Boston Marathon ist ein Punkt-zu-Punkt Marathon: Keine
Schleifen, keine doppelten Wege. Irgendwie muss man zum Start kommen. Der
Transport in Boston ist berühmt: Kolonnen gelber Schulbusse bringen einen vom
zentral gelegenen Boston Public Garden / Boston Common in 45 Min. nach
Hopkinton, wo der Start ist.
Busse warten auf die Starter & Achim Wricke (InterAir) ist heute der "Schülerlotse"(© Isaak Papadopoulos) |
Im Bus ist ein aufgeregtes Stimmengewirr: Der Adrenalinpegel
steigt und die Vorfreude ist riesig. Für viele sind Wetter und Streckenverlauf
natürlich die beiden Top-Themen. Der Geräuschpegel durch das Geschnatter der
Starter erinnert an eigene Schulausflüge. Nur dass es in der letzten und der
ersten Reihe gleichlaut ist.
In Hopktinton angekommen ist an alles gedacht: Ein Zelt,
Essen (Bananen, Riegel, Donuts), Getränke (Gatorade, Mineralwasser). Die
Stimmung ist mehr als nur entspannt.
Verglichen mit der Wartezeit in New York verflog die Zeit.
Die Wellen gingen nach und nach an den Start. Wir waren in der letzten Welle 4.
Der unermüdlich sprechende Ansager, der immer aufmunternde Worte fand, rief uns
zum schließlich Start.
„Okay, now
it’s on you, yellow mellow group. Go to the start. Remember, the first group is
already 20k away…” Na dann kann ja nichts mehr schief gehen, wenn die
anderen schon beim Halbmarathon sind. Hoffentlich haben die uns Wasser genug
dagelassen. Denn es wird minütlich wärmer.
Tipps von einer Lauflegende
Wir hatten sonniges Wetter bei ca. 20°C. Das bedeutet:
Duschen schon vor und vor allem während des Laufs, sonst drohen der Kopf und
der Körper zu überhitzen. Bereits vor dem Start kippte ich mir also einen
Becher Wasser über den Kopf. Der im Wetterbericht angekündigte Rückenwind blieb
aus. Also wurde es ein Rennen gegen die Hitze und die „vier Stufen“ ab km 26.
Die Vorbereitung auf diesen in jeder Hinsicht besonderen
Lauf ist wichtig, denn das Streckenprofil ist ungewöhnlich. 180 Höhenmeter klingen
erstmal nicht zu viel. Dem stehen 314 negative Höhenmeter gegenüber, von denen
bereits 90 auf den ersten Kilometern bergab gelaufen werden. Hier überdrehen
viele Läuferinnen, was dazu führt, dass einem die Luft ausgeht, wenn es ab km
26 merklich nach oben geht. Im Rahmen unserer Reise mit Interair wurden wir von
keinem Geringeren darauf vorbereitet als Herbert Steffny. Herbert hat 1996 beim
hundertsten Boston Marathon die Majors gewonnen (02:19:33). In diesem
legendären Jahr war Uta Pippig Siegerin bei den Frauen (02:27:12). Beide sind
in Stein gemeißelt (siehe Bilder), allerdings sind schon tausende von Lauffüßen
darüber gelaufen, so dass die Schriftzüge nur noch schwer zu erkennen sind.
Die Ewigenliste in Boston (Foto: Ludger Schneider-Störmann) |
Insbesondere machte Herbert Steffny auf folgende Fallen
aufmerksam:
- Die ersten 4km zu schnell angehen, da es bergab geht.
- Durch falsche Renneinteilung keine Energie mehr
für die „4 Treppen“ zu haben. Das gilt insbesondere für den „Heartbreak Hill“.
Das unscheinbar wirkende Profil des Heartbreak Hill: 25 Höhenmeter binnen eines guten halben Kilometers, also 4%-5% Steigung (Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Greg Maclin). |
Die Renneinteilung und Taktik: Laufen nach Zahlen
Da ich schon von dem berüchtigten Berg gehört hatte, wollte
ich diesen unbedingt laufen – nicht gehen. Ich recherchierte im Netz und fand
Greg Mclins Internetseite www.mymarathonpace.com.
Dort bietet Greg für wenige Dollar Dateien an, die mein Herz als Ingenieur
höher schlagen lassen: zu vielen Marathon mit Höhenprofil kann man mithilfe der
Dateien seinen individuellen Pace berechnen lassen. Das Besondere ist, dass die
Höhenmeter berücksichtigt werden.
Weitere Eingabegrößen sind:
- Die Pacing Strategie: von gleicher körperlicher Anstrengung bis zum weitestgehend gleichförmigen Pace
- Die Start Strategie: Vom langsamen Start (Gedränge am Anfang) hin zum leichten Start
- Die Fade Strategie: Wird man am Ende langsamer oder schneller?
- Der Downhill Pace Limiter: Kein Pace Limit (schneller Pace) oder volles Pace Limit (Gelekschonend)
- Negative split bias: Erste Hälfte langsamer als zweite (so lief Steffny)
So habe ich mir mit meiner Zielzeit den Pace für jede Maile
bzw. km berechnet, der auch die Hügel mit berücksichtigt.
·
Screenshot der Eingabemaske des Programms. (Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Greg Maclin) |
Die Auswertung ergab zwischen schnellen und langsamen Pace
einen Unterschied von 50s! Man kann einfach ein Paceband ausdrucken, mit
transparentem Band bekleben (gegen Schweiß und Wasser) und sich um das
Handgelenk befestigen.
Ausdruck der Pacebänder nach der Berechnung. (Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Greg Maclin) |
Die ersten acht km machen die Unterschiede deutlich: Ein langsamer Start (Getümmel), dann bei km 4 den Hügel runter und bei km 7 wieder rauf. (Screenshot mit freundlicher Genehmigung von Greg Maclin) |
Natürlich trägt man selber dafür Verantwortung, dass die
Zeiten im Rennen eingehalten werden. Aber ich war erstaunt, wie gut die
Einstellung „even Effort“ bei mir funktionierte: Die kleinen und größeren
Steigungen waren wirklich gut zu laufen. Anders als in New York musste ich so nicht
den Heartbreak-Hill gehen. Für einen Zahlenmenschen wie mich war die Datei eine
große Hilfe.
Was mir gefehlt hat war, dass ich bei großen Temperaturen
oder bei Gegenwind natürlich langsamer unterwegs bin – aber das würde ich bei
einem weiteren Rennen in jedem Fall im Kopf haben.
Was für ein denkwürdiges Rennen: Katherine Switzer feiert
den 50 Jahrestag ihres großen Marathon-Coups
1966 begann eine Revolution im Marathon. Frauen waren zu
Laufwettbewerben über 800m nicht zugelassen! Laut männerdominierter
Wissenschaftswelt würden bei längeren Strecken die Frauen körperliche Schäden
erleiden und ihnen Haare auf der Brust wachsen. Was für ein Unfug! Das dachte
sich auch Roberta Louise "Bobbi" Gibb. Sie war die erste Frau, die
den Boston Marathon ohne Startzulassung beendet hatte (in 3:21:25). Weltrekord J!
Im Jahr darauf folgte ihr Katherine Switzer. Sie hat sich allerdings unter K.
V. Switzer angemeldet und hatte so eine Startnummer (261) als Frau. Die Fotos,
auf denen zu sehen ist, wie der Rennleiter versuchte die Frau mit Gewalt aus
dem Rennen zu stoßen, gingen um die Welt.
In diesem Jahr jährte sich dieses Ereignis, als dessen Folge
wenige Jahre später Frauen für Marathonwettbewerbe zugelassen wurden. Katherine
Switzer und viele andere Frauen liefen den Marathon zum 50. Jahrestag nochmal.
Mit 70 Jahren schaffte sie die Distanz in nur 4:44! Respekt. Die Nummer 261 ist
seit diesem Jahr für sie auf ewig reserviert.
Katherine Switzer locker fröhlich kurz vor dem Ziel (© Isaak Papadopoulos) |
Auf dem Wege nach Boston
Die College Girls kurz vor dem Halbmarathon sind auch viele
Stunden nach dem Start noch wahnsinnig motiviert und kreischen was das Zeug
hält. Wieder einmal erlebe ich ein Publikum, welches den großen
Motivationspreis verdient. So freundlich, fröhlich, ausgelassen und aufmunternd
wie diese 500.000 Zuschauer entlang der Strecke sind nur wenige auf der Welt.
Daher war es irgendwie leicht, mit großer Freude trotz der Schmerzen zu laufen.
(Lauf)Partnersuche mal anders
Unterwegs sah ich eine Läuferin, die offensichtlich auf
Partnersuche war: „I am looking for a partner, tall and runner“ stand auf einem
Zettel, von dem sich Interessenten die Telefonnummer abreißen konnten. Eine
außergewöhnliche Idee, wie ich finde.
Sitzen
Ich suchte im Ziel nach meiner Partnerin: Sie war (wie
immer) schon längst vor mir angekommen. Da sich der Zielbereich aber hinzieht,
fand ich Wiebke zunächst nicht. Da ich nun doch ein deutlich spürbares Ziehen
ab dem verlängerten Rücken verspürte, blieb ich ab und zu mal stehen. Es gibt
netterweise keine Fotos, die mich dabei zeigen. Denn ich muss wohl schlimm
ausgesehen haben: Eine Helferin bot mir glatt einen Sani-Rollstuhl an. Kaum saß
ich, kam auch schon eine Ärztin zu mir: „Are you okay? Your heart, your head okay?“ Ich war überrascht
und sagte: „Everything is fine, but my – excuse – butt hurts” “Oh, you can say
that: I got one, too” lachte die Helferin. Da ich offenbar “nur” erschöpft
war, wurde ich freundlich von der Ärztin wieder zum Aufstehen bewegt: “Better
walk around and get up: the pain will go away quickly then“. Nun denn.
Schließlich fanden wir uns und gingen zum nah gelegenen Hotel.
Mit Tokyo war dies vielleicht unser schönster Marathon
bisher. Da stimmte alles: Organisation, Wetter, Strecke, Publikum,
Glücksgefühle.
Mit Medaillen und überglücklich (© Interair) |
Bis bald
·
·
·
·
·
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen